Freitag, 25. November 2022

Dies und das - 20. November 2022

Eigentlich wollten wir uns erst am 27. November treffen, und eigentlich sollte das Thema "Rund um den Webrahmen" sein. Manchmal kommt dann doch alles anders. Dass wir den 1. Advent aus unseren Terminplanungen immer heraushalten wollen, hatten wir wohl bei der Planung schlichtweg übersehen. Bzw. war kein Augenmerk darauf, dass der 27. schon der 1. Advent ist. So haben wir uns schon eine Woche früher getroffen und das Thema auf das kommende Jahr verschoben.

Spontanes Thema wurde "Dies und das"! Und es war eine ausgesprochen gemütliche und nette Runde. Jede hatte etwas mitgebracht und das Programm für das kommende Jahr wurde auch schon besprochen. Hier nun dies und das:

Kathrin hat an einem Online-Kurs "Farbe & Struktur" bei Antje Vajen teilgenommen und mehrere Schals mitgebracht:

 
Agnes hatte weihnachtliche Badetücher dabei und sich an den Stubenitzy-Kreisen ausprobiert:


Marion berichtete von einem Kurs beim diesjährigen Treffen der Handspinngilde, "Peruanisch Weben" mit Katharina Vollmerhaus, und hatte auch einen "Darning loom" oder auch "Speedweve" dabei. Ein kleines Utensil zum Flicken von dies und das. Der Darning Loom ist keine neue Erfindung. Gerda hatte dieses Hilfsmittel schon einmal mit; es gehörte ihrer Mutter, und Gerda hatte lange herumgerätselt was es wohl sein könne, bis sie zufällig auf des Rätsel Lösung stieß. Agnes war so begeistert, dass sie gleich zur Nadel griff und den Socken zu Ende stopfte:


Barbara hatte einige Handtücher in Variationen von Blau mitgebracht. Die Kette war aus Cottolin, geschossen hat sie mit unterschiedlichen Materialien, unter anderem mit Tencel. Leider kann man online nicht fühlen, wie unterschiedlich die Gewebe im Griff waren:


Gerda hatte so allerlei dabei: kleine Bändchen, Taschen aus Resten, Schmuck aus kleinen Bildgeweben und ein Auge Gottes. Hier ein paar Links zum Auge Gottes:
Miniworkshop von Lilalu   Ojo de Dios - Green Bird   Es geht auch komplexer!

Auch dabei hatte sie vier Waschlappen nach Syne Mitchell, gewebt mit unterschiedlichen Materialien für die Schlingen (siehe Beitrag Pibiones/Perlweben):


Im September hatten wir uns mit Taqueté beschäftigt, unter anderem mit dem freien Gestalten von Musterungen mit Hilfe von Nagelschäften. Das System von Hermann Wendlinger hatte ja auf Gerdas  Webstuhl nicht funktioniert. Funktioniert hat dann der Umbau auf das System von Gisela von Weisz.

Die beiden Schäfte für die Grundbindung werden nach hinten auf die Schäfte 3 und 4 gelegt. Davor werden die beiden Nagelschäfte platziert um so besser das Wechseln zwischen den beiden Schäften zu bewerkstelligen. 


Beim Taqueté bilden jeweils 2 Bindekettfäden (beim Nagelschaftweben hier auf den Schäften 3 und 4) und 2 Musterkettfäden (bei Nagelschaftweben hier auf den Schäten 1 oder 2) eine kleinste Einheit von immer 4 Kettfäden (hier verdeutlicht durch die grünen Senkrechten). Die beiden Musterkettfäden einer kleinsten Einheit hat Gerda zusammen mit einem Gewicht (4 Unterlegscheiben von zusammen ca. 25 g) nach unten abgehangen. Der Nagelschaft besteht ja nur aus der oberen Schaftleiste. Mit Hilfe einer ausreichend dicken Perle wird das Litzenpaar entweder auf dem Nagelschaft1 oder dem Nagelschaft2 eingehangen. Da, wo die Musterkettfäden beim Schusseintrag gesenkt werden, flottiert der Schuss auf der Gewebeoberseite. Bei Tritt 1 und Tritt 3 werden die Litzen auf Nagelschaft 2 gesenkt, dort flottiert also der rosa Schussfaden auf der Gewebeoberseite. Bei Tritt 2 und Tritt 4 werden die Litzen auf Nagelschaft 1 gesenkt, dort flottiert also der dunkle Schussfaden auf der Gewebeoberseite:

 

Jetzt bleibt uns nur noch, allen eine ruhige Adventzeit zu wünschen! Im neuen Jahr geht es dann weiter mit dem Vorstellen der Arbeiten zum Thema "Inspiriert durch die Natur" und "Schiffchen, Schützen und mehr - wie kommt der Schuss in die Kette"!

Marion S.  / pixelio.de

Montag, 3. Oktober 2022

Taqueté - 25. September 2022

Surft man in der weiten Welt des Internets, so findet man immer wieder Gewebebeispiele in "turned taqueté", d.h. Einzug und Trittfolge des ursprünglichen Taquetés wurden vertauscht/gedreht. Dass dies gute Gründe hat wird später ersichtlich.

Weitere Namen für Taqueté sind: schussverstärkte Leinwandbindung, weft-backed weave oder double weft weave (Warp and Weft - Eriksson, Gustavsson, Lovallius), weft-faced compound tabby (Pattern and Loom - John Becker).  Aha, Taqueté hat also zu tun mit Leinwandbindung und der Schuss spielt wohl auch eine Rolle!

Beim Taqueté handelt es sich um eine Bindung mit sehr hoher Schussdichte, die z.B. sehr gut geeignet ist für Teppichgewebe. Es werden zumeist zwei Schussfarben verwendet, so dass die beiden Gewebeseiten zueinander wie Tag und Nacht sind. Die beiden Seiten zeigen Muster, die positiv und negativ zueinander sind. Das Wort "Muster" weist schon darauf hin, dass es sich um Partiengewebe handeln kann, bzw. um "eingelesene" Muster. Fangen wir erst einmal mit einer Partie an, um zu verstehen, wie Taqueté grundsätzlich funktioniert. Die Kette besteht aus zwei Kettsystemen mit jeweils unterschiedlicher Funktion:

System 1, die Bindekette, die auf den Schäften 1 und 2 eingezogen wird (hellgrau)
Würde man nur die Bindekette einziehen (Kettfäden 41 bis 50) und die Tritte 1 und 3 abwechselnd treten, so ergäbe sich eine reine Leinwandbindung.

System 2, die Musterkette, die auf  Schaft 3 eingezogen wird (dunkelgrau)
Die Kettfäden der Musterkette bestimmen nun, welche der beiden Schussfarben auf der Gewebeoberseite und welche auf der Gewebeunterseite flottieren. Ist der Schaft gesenkt, so flottiert der Schuss auf der Gewebeoberseite, ist der Schaft gehoben, so flottiert der eingetragene Schuss auf der Gewebeunterseite.

Schuss 1: Schaft 3 ist gehoben, der dunkle Schuss (Musterschuss 1) flottiert also auf der Gewebeunterseite
Schuss 2: Schaft 3 ist gesenkt, der helle Schuss (Musterschuss 2) flottiert also auf der Gewebeoberseite
Beide Musterschüsse werden durch die Bindekettfäden auf Schaft 2 angebunden.

Schuss 3: Schaft 3 ist gehoben, der dunkle Musterschuss flottiert wieder auf der Gewebeunterseite
Schuss 4: Schaft 3 ist gesenkt, der helle Musterschuss flottiert wieder auf der Gewebeoberseite
Beide Musterschüsse werden jetzt durch die Bindekettfäden auf Schaft 1 angebunden.


Die 3er-Flottierungen der hellen Musterschüsse auf der Gewebeoberseite schieben sich über die 1er-Flottierungen der vorhergehenden dunklen Musterschüsse. Dies wird noch dadurch unterstützt, dass die nachfolgenden dunklen 1er-Flottierungen gegenbindig zum vorhergehenden Schuss sind und diese zusätzlich schieben. Dadurch ergeben sich zwei nahezu einfarbige unterschiedliche Gewebeseiten

Wird die Trittfolge beibehalten und ein Farbwechsel durchgeführt kehrt sich die Farbfolge um. Nun flottieren die dunklen Musterschüsse auf der Oberseite und die hellen auf der Gewebeunterseite. Die Bindekettfäden  sind als Bindungspunkte zu sehen. Die Musterkettfäden auf Schaft 3 werden vollkommen abgedeckt, laufen einfach glatt zwischen Gewebeober- und -unterseite hindurch, sie greifen nicht aktiv in die Bindung ein, dienen einzig und allein der Steuerung der 3er-Flottierungen: Senkung = flottiert auf der Oberseite, Hebung = flottiert auf der Unterseite.
 
In der Literatur wird angeführt, dass die Musterkettfäden daher gerne schlapper werden und dies entsprechend ausgeglichen werden muss (z.B. durch einen zweiten Kettbaum). Auch kann man lesen, dass die Bindekettfäden gerne dünner gewählt werden und die Musterkettfäden etwas dicker, damit diese die 3er-Flottierungen volumenmäßig unterstützen. In unsreren Beispielen sind alle Kettfäden gleich dick.
 

Eine weitere Möglichkeit einen Farbwechsel herbeizuführen wäre noch ein Wechsel der Trittfolge. Hier bleibt die Abfolge der Musterschüsse gleich. Das hat zur Folge, dass zwei aufeinander folgende Musterschüsse auf der gleichen Gewebeseite entweder 3er- oder 1er-Flottierungen zeigen. Bei nur einer Kettpartie macht dies keinen Sinn. Aber, ... ihr werdet sehen!
 

In den bisherigen Beispielen ist das Fadenverhältnis von Bindekettfaden zu Musterkettfaden immer 1:1. Das bedeutet, dass immer einem Bindekettfaden ein Musterkettfaden folgt. Es gibt auch die Möglichkeit andere Fadenverhältnisse zu wählen, z.B. das Verhältnis 1:2. Hier folgen jedem Bindekettfaden jeweils 2 Musterkettfäden auf einem Schaft. Dadurch werden aus den 3er-Schussflottierungen 5er-Schussflottierungen:


Wie bei allen Geweben kommt es auf das richtige Verhältnis von Kettfaden- und Schussfadenstärken sowie die richtige Kettfadendichte an. Unser erster Versuch ging da schon mal zienlich schief:
 
  • die Kettdichte war viel zu hoch
  • der Schuss zu dünn
  • und zu wenig voluminös
Man konnte das Prinzip zwar nachvollziehen, aber die Abdeckung war alles andere als zufriedenstellend. Und dann tauchte da auch noch der Effekt auf, dass sich oft zwei Musterschüsse scheinbar mehr zusammenschoben und dadurch erst recht keine homogenen Flächen entstanden. Bindungstechnisch konnten wir keine Erklärung dafür finden.
 
Zurück vom Treff wurde die Kettfadendichte bei Verwendung von einem Doppelfaden Baumwolle Nm 34/2 von 8 Fäden auf 5 Fäden je cm reduziert. Für den Schuss fand statt des eher festen Einfach-Wollgarns (Stärke unbekannt) ein weiches Wollgarn Nm 8/2 als Doppelfaden Verwendung:

Das sah doch schon viel besser aus:
Im nebenstehenden Beispiel wurde im unteren Abschnitt jeweils zunächst der helle Musterschuss gewebt und dann der dunkle Musterschuss (entspricht in der Patrone oben: erst Tritt 2 dann Tritt 1), oben dann erst dunkel und dann hell. Ein Unterschied ist kaum auszumachen.
 
Was aber eine weitere Verbesserung brachte war eine nochmalige Verdoppelung der Schussfadenstärke auf einen Vierfachfaden Nm 8/2, was dann einer Stärke von Nm 1 entsprach.

So ist es ja bei allen neuen Geweben, um eine stimmiges Produkt zu erhalten braucht es schon mal etwas länger. Manchmal macht eine Kleinigkeit schon den Unterschied!

Für jede weitere Kettpartie brauchen wir einen weiteren Schaft. Da im folgenden Beispiel auf jedem Tritt jeweils ein Musterschaft auf Hebung und der andere auf Senkung angeschnürt ist zeigen beide Partien jeweils andere Farbigkeiten:


Nur ein weiterer Schaft je zusätzlicher Kettpartie! Da müsste doch vieles möglich sein. Das Wort "müsste" deutet es schon an, dass da irgendwo ein Haken an der Sache ist. Mal sehen:


Wir sehen, der Haken sind die Tritte. Jede Trittpartie benötigt vier neue Tritte! Und wer keinen Dobby-Webstuhl oder einen computergesteuerten Webstuhl hat, kommt da schnell an die Grenzen des Möglichen. In dem obigen Beispiel mit 3 Kettpartien zeigt in den unteren drei Trittpartien jeweils eine Kettpartie dunkle 3er-Flottierungen und die beiden anderen Partien helle 3er-Flottierungen. Durch eine Änderung der Trittfolge kann man sich weitere Tritte ersparen. Machte dies bei nur einer Kettpartie keinen Sinn, ist es hier sehr sinnvoll:


Und dann gibt es noch einen weitere Möglichkeit, Tritte zu reduzieren: das sogenannte "skeleton tie up", auf  Deutsch "Skelett Anbindung". Weiß jemand eine andere Bezeichnung im Deutschen? Und da waren's nur noch 10! Es werden immer 2 Tritte gleichzeitig getreten. Die grauen Kästchen in der Anbindung zeigen an, dass diese Schäfte gar nicht an die Tritte angebunden werden. Die Tritte 1 und 2 steuern also nur die Bindekette auf den Schäften 1 und 2 an, dann benötigt jede Schusspartie nur noch 2 Tritte, mit denen die Musterkettfäden auf den Schäften 3 bis 5 angesteuert werden.


Und hier die dazugehörigen Gewebebilder, rechts die Gewebeoberseite, links die Gewebeunterseite:
 
 
Auch hier können durch Änderung der Trittfolge weitere Schusspartien ins Spiel kommen, so dass die Gewebeoberseite auch mehr dunkle Schusspartien zeigen könnte:
 

 Dann gibt es auch noch die Möglichkeit mit 3 Musterschüssen zu  arbeiten, also mit 3 Farben:
 
 
Um obiges Beispiel zu weben braucht man 10 Tritte, da einige mehrfach sind. Tritt 1 = Tritt 8 und Tritt 15, Tritt 4 = Tritt 11 und Tritt 18, Tritt 7 = Tritt 14, Tritt 9 = Tritt 13, Tritt 10 = Tritt 17, Tritt 12 = Tritt 16
So kann man jedoch die Trittpartien schon mal besser nachvollziehen; die Darstellung mit 10 Tritten wäre eher anstrengend nachzuvollziehen. Ob die Tritte so anzuordnen sind, dass ein flüssiges Treten möglich wäre, habe ich nicht durchgespielt, da ich auch hier lieber das "skeleton tie up" zur Anwendung bringen würde. Damit ist ein flüssiges Treten auf jeden Fall möglich:


Auf der Gewebeoberseite ist in jeder Kettpartie jeweils nur ein Musterschuss/eine Farbe zu sehen, auf der Gewebeunterseite flottieren jeweils die anderen beiden anderen Musterschüsse/Farbe gemeinsam:

 

Schade, dass Marion nicht beim Treff dabei sein konnte. Sie hatte sich nämlich schon einmal mit  Taquetégeweben auseinandergesetzt, welche mit Hilfe sogenannter Nagelschäfte gewebt werden. Dazu hat Hermann Wendlinger aus Wangen im Allgäu ein Buch veröffentlicht. Hier geht es zur Seite des  KUHAtex-Verein e.V., in dem sich der Handwebermeister engagiert:

http://www.handweben.net/

Leider ist die Seite sehr unübersichtlich, es braucht Geduld sich dort durchzuarbeiten. Man kann dort auch einen Kurs zum  Thema besuchen.

Und hier die Links zu zwei Videos zum Nagelschaftweben:
Nagelschaftweben 01
Nagelschaftweben 02

Mit dieser Technik können Muster frei eingelesen und gewebt werden. Gerdas Versuche die Nagelschäfte auf einem ihrer Webstühle ans Laufen zu bringen, waren bislang leider nicht von Erfolg gekrönt. Aber Marion hatte ihr die von ihr gewebten Muster mitgegeben:

 

Das wäre es an dieser Stelle mit dem "echten Taqueté" und wir drehen das Ganze um 90°, die Trittfolge wird zum Einzug und der Einzug zur Trittfolge - im Englischen "turned taqueté" genannt. Links der "echte Taqueté", und rechts "turned taqueté":


Die Farbeffekte werden nun durch Kettflottierungen bewirkt. Gab es vorher zwei Kettsysteme und durch die beiden Musterschüsse auch zwei Schusssysteme, gibt es nun nur noch ein Kettsystem und ein Schusssystem; es kann also mit einem Schützen gewebt werden. Wurden vorher die Schüsse zusammengeschoben und zeichnete sich das Gewebe durch eine hohe Schussfadendichte aus, definiert nun die gewählte Kettfädendichte die Gewebedichte. Hier wird nichts mehr übereinandergeschoben. Die Beispiele, welche ich im Internet gesehen habe und auch die mitgebrachten Gewebe sind in einem ausgeglichenen Fadenverhältnis gewebt worden.

Turned Taqueté wird oft genutzt um Farbmischungen zu gestalten:


Zu guter Letzt noch einige Hinweise und Links zum Thema:

Zwei Artikel in Ornamente-Ausgaben: 05/90  und 05/94

Shaftswitching for Taqueté auf handwovenmagazine.com
Freier Download von einem Artikel von Gisela von Weisz, natürlich mal wieder auf Englisch

Taqueté auf Eva Stossel's Blog

Taqueté bei Maliz auf strick17.blogspot.com

Bericht über die Webmesse 2022 in Schweden bei Maliz
Lustigerweise findet man in Maliz's Bericht über den Besuch der Webmesse 2022 in Halmstadt/Schweden unter anderem auch Fotos von einer Schaftwechseleinrichtung von Nina Floderus. Das Thema scheint wohl in zu sein. Auch Gisela von Weisz (siehe Link zum handwovenmagazine) hat dazu ein Buch geschrieben: Skavtväxling, auf Schwedisch!
Die Technik des Schaftwechselns ist übrigens schon älter. Peter Collingwood, ein britischer Weber mit dem Schwerpunkt Teppichweberei hat das "Shaftswitching"  entwickelt.

Taqueté auf iowaweaver.blog 

Von Summer and Winter zu Taqueté auf weavezine.com
Ein Sampler über 8 Schäfte mit 6 Kettpartien, und ihr ahnt es schon, mit reichlich Tritten
Also etwas für Computersteuerung, Handhebel-Webstuhl oder Klick
Leider funktioniert der Download des wif-Files nicht

Pattern and Loom von John Becker zum Download
Taqueté ab Seite 81

Wie immer viel Vergnügen beim Ausprobieren!

Freitag, 5. August 2022

Pibiones - oder auch Perlweben, Noppenweben, Schlingenflor, Boutonné ....... 31. Juli 2022

Die einen lieben diese Technik, die anderen würden es nie im Leben freiwillig weben. Sie ist zugegebenermaßen zeitaufwändig und erfordert einiges feinmotorisches Geschick, dafür belohnt sie mit einer freien Gestaltung der Gewebefläche, unabhängig von der Schaftzahl.

Gerda gab uns zunächst eine kleine Einführung in das Thema:

"Perlweben, Noppenweben, Schlingenflor, Boutonné oder Pibiones, das sind die Bezeichnungen für ein und dieselbe Technik in verschiedenen Sprachen - Deutsch, Französich, Sardinisch - mit der über Jahrtausende hinweg Textilien geschmückt wurden. Wie Sara Bixler in dem Artikel in der "Handwoven, 09/10 2015" ausführt, wurden schon 2000 vor Christus in Ägypten Textilien in Leinwandbindung mit dieser Technik geschmückt.

In meiner Lehrzeit (ewig her) habe ich diese Technik von meiner Meisterin gelehrt bekommen, jedoch mit dem Hinweis, dass diese in der Werkstatt nicht gebraucht werden konnte, aber ich sollte es trotzdem lernen, genau wie das Teppichknüpfen. Leider existiert meine Arbeit von damals nicht mehr.

In manchen Museen sind wohl noch einige wenige Textilien mit dieser Art der Musterung erhalten, aber sie liegen dort sicher irgendwo in einem Depot. Es sind vorwiegend Kissen, Decken und auch Satteldecken; aber es wurden auch Röcke damit verziert."

Aber auch durchaus feinere Gewebe wurden mit dieser Technick gestaltet. Hier das wunderbare Beispiel einer Kinderjacke und -mütze, gewebt mit Muschelseide: https://muschelseide.ch/kinderjaeckchen-1/

Bei ihren Recherchen zum Thema ist sie neben der Handwoven in insgesamt 5 Büchern fündig geworden:

  • Ursula Kirchen, Schöpferisches Weben
  • Laila Lundell, Das große Webbuch
  • Clara Craeger, Weben - Ein schöpferisches Kunsthandwerk
  • Syne Mitchell, Weben - Das Standardwerk für den Gatterkamm-Webrahmen
  • Konrad Hahm, Ostpreußische Bauernteppiche
    wobei hier hauptsächlich aufwändiger Noppenbildungen beschrieben werden,
    er stellt jedoch auch die "Noppenform aus Italien" in einer kleinen Zeichnung dar

Einen Webvorschlag aus dem Buch von Syne Mitchell hat Gerda dann für uns auf einem Webrahmen eingerichtet. Zwei fertige Muster hatte sie auch schon dabei:

Gerdas Anmerkungen zum grünen Gewebe (für einen Waschlappen): 

Nach dem Einrichten wird zunächst ein ca. 5 cm hoher Saum gewebt. Danach wird ein Schuss eingelegt und das Fach offen gehalten. Mit einer Stricknadel werden nun Noppen oder Schlingen aufgenommen. dies kann mit den Fingern geschehen oder mit Hilfe einer Häkelnadel. Nach jedem Musterschuss (Noppenreihe) wurden zwei Grundschüsse gewebt, dadurch sind die Noppen etwas versetzt im Gewebe. An jeder Webkante habe ich einen Rand in Leinwandbindung stehen gelassen. Nachdem ein Quadrat in Noppentechnik gewebt ist, wird wieder ein Saum von ca. 5 am gewebt.

Für das rote Mustergewebe wurden 2 Schützen benötigt:

Die zweite Arbeit ist ein Mustertuch auf der gleichen Kette, aber in einer anderen Zusammensetzung für den Schuß: zum einen für den Grundschuss das gleiche Garn wie in der Kette und für den Musterschuss ein Garn aus 70% Wolle und 30% Nesselfaser. Für diese Arbeit brauchte ich etwas stärkere Stricknadeln, die Noppen wurden dadurch auch fülliger. Hier wurden nach jedem Musterschuss 3 Grundschüsse gewebt, so dass die Noppen nun übereinander stehen und nicht mehr versetzt.

Und hier geht es zu einem Bericht von Syne Mitchell selber: Syne Mitchell auf www.weavezine.com

Bevor es an die praktische Umsetzung ging, haben wir uns zunächst noch einige Videos und Bilder angeschaut. A Pibiones ist ja eine Webtechnik aus Sardinien, und es wäre von Vorteil Italienisch zu können. Aber wir Weber/innen verstehen ja schon vieles über das reine Zuschauen:

 
 
 
 
 
 
 

Pibione ist übrigens ein sardinisches Wort für kleine Weintraube. Weben auf Sardinien umfasst natürlich viel mehr als die Technik Pibiones. Kelly Manula Koza ist eine Amerikanerin, die sehr verbunden ist mit dem traditionellen Handweben auf Sardinien. Auf ihrer Seite findet ihr reichlich Informationen (natürlich auf Englisch): https://sardinianarts.com/

Bei den Vorbereitungen zum Thema bin ich auf ihre Seite gestoßen und auf die Ankündigung zu einer Online-Präsentation: Sardinian Handwoven Textiles - Exploring a nearly lost art. Natürlich habe ich mich angemeldet. Beginn des Zoom-Meetings sollte sein um 06:00 pm. Wie war das noch mal mit am und pm? 06:00 pm entspricht 18:00 Uhr.  Pünktlich saß ich an unserem Laptop - und nicht passierte. Was soll ich sagen, Zeitverschiebung! 06:00 pm in der Nähe von San Franciso heißt 03:00 Uhr nachts mitteleuropäische Zeit. Zu meinem Glück fand das Meeting in der kommenden Nacht statt, aber 03:00 Uhr war schon eine Herausforderung. Auf ihrer Webseite kann man sich auch einen Film ansehen, den sie selber erstell hat. Im Mittelpunkt steht die kleine Familienweberei von Isabella Frongia: I Want to Weave the Weft of Time - auf vimeo  

Nachfolgend die Bilder von meinen ersten Arbeiten mit Pibiones, es muss so um die Osterzeit herum gewesen sein 😉:

 
Grundsätzlich finden zwei Bindungen Anwendung: Leinwandbindung oder der gleichseitige Köper 2/2. Das Beispiel obern rechts ist in Leinwand gearbeitet, die drei anderen Beispiel in Köper. Bei genauer Betrachtung kann man sehen, dass ich oben rechts verschiedene Anzahlen von Zwischenschüssen ausprobiert habe. Bei einer ungeraden Zahl ordnen sich die möglichen Pibiones übereinander an, bei einer geraden Zahl versetzt zueinander. Beim Aufreihen auf den Stab habe ich in den Pibiones-Bereichen jeweils eine Lücken zwiscchen den einzelnen Pibiones gelassen. Es war übrigens ein einfacher etwas stärkerer Schaschlikstab. Bei der versetzten Anordnung wird der Flor nicht so dicht.

Kette und Zwischenschüsse sind in meinen Beispielen eher dünn (Baumwolle und Cottolin), und die Musterschüsse, welche die Pibiones bilden (übrigens "tramone" genannt) in dickerer Wolle - teilweise zweifädig genommen, da ich gar nicht mehr so viel dickere Wolle habe. Wie immer ergibt sich die Struktur des fertigen Gewebes aus vielen Bedingungen: die gewählten Garnstärken, die verwendeten Fadendichten in Kette und Schuss, ... Das richtige Verhältnis zu finden gehört zu der Entwicklung eines stimmigen Gewebes dazu, ist auch hier Teil des Handwerks.

Unten links (auf dem Bild oben) seht ihr die erste Probe, gewebt mit Köper 2/2. Sie wurde nur mit einer Farbe (einem Musterschuss in Braun) gearbeitet, und nur die beiden Hasen wurden mit Pibiones aus der Gewebefläche hervorgehoben. Unten rechts dann die zweite Probe, jetzt mit zwei Farben (zwei Musterschüssen in schwarz und weiß) gearbeitet, die gesamte Fläche ist in Pibiones gearbeitet. In der linken Probe sind die Hasen etwas gedrungener, während sie in der rechten Probe von den Proportionen besser getroffen sind. Durch die Verwendung von zwei Farben beim Musterschuss, also auch zwei Fäden, hat dieser mehr Höhe im Gewebe und streckt das Ganze.
 
Die vierte Probe, oben links, wurde ebenfalls mit zwei Farben im Musterschuss gearbeitet: Schwarz durchgehend und dazu ein Farbwechsel der zweiten Farbe in der Mitte des Gewebes. Beim Treff selber haben wir nur den Farbwechsel nachvollzogen. Es brauchte hierfür schon drei Schützen:


Das Schema der Abfolge, wie wir die Schüsse eingetragen haben hieß bei uns "erst rein, dann raus".
 
"Rein" meint: von außen ins Gewebe hinein bis zum "Wendepunkt" - zum Beispiel mit Petrol von links außen bis zum Wendepunkt hinein (1 rein). "Raus" meint dementsprechend: vom "Wendepunkt" innerhalb des Gewebes bis hinaus aus dem Gewebe - dann mit Dunkelrot vom Wendepunkt nach rechts außen hinaus (1 raus).
 
Werden dabei noch Pibiones gearbeitet, hat es für uns Sinn gemacht, zunächst eine Farbe zu arbeiten (im Beispiel Petrol) und dann erst die andere. Für das Auffädeln der Pibiones muss der Faden ja leicht nachrutschen können. In der folgenden Collage kann man oben rechts sehen, dass der dunkelrote Faden den petrolfarbenen einklemmt, was das Auffädeln sehr behindern würde.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, müsste es bei "erst raus, dann rein" nicht einklemmen. Probiert es einfach aus!

Und hier noch ein weiteres Beispiel, komplexer geht immer:

Um den Rahmen arbeiten zu können, musste ich rechts einen zusätzlichen schwarzen Faden einfügen (im Schema der türkise Faden). Und hier war die Abfolge tatsächlich "erst raus, im mittleren Bereich rüber, dann rein". Diese Probe wurde mit jeweils einem Leinwandzwischenschuss gearbeitet.  Die Umsetzung ist für mich nicht stimmig, da die Blüten in der Vorlage nicht so flach waren. Für die roten Blütenmitten wurde jeweils ein extra Faden eingefügt.

Interessantes und viele Gewebebeispiele habe ich auf diesen Seiten gefunden:

www.sardegnaartigianato.com

www.mariantoniaurru.com 

Hier tatsächlich ein Bericht von einem Besuch der Textilwerkstätten in Samugheo auf Deutsch: www.stilesardo.com

Nicht alles was aussieht wie Pibiones sind auch Pibiones. Dafür geht es nach Südfrankreich:
www.manufacturecogolin.com    und hier ein Video: auf www.archiexpo.it
Dort wird mit alten Jaquardwebstühlen gearbeitet. Die "Wolle" wird als zweites System mit in die Kette genommen. Das wäre doch etwas für unsere Waschlappen! Dafür müssten doch wenige Schäfte ausreichen. Ja, aber... Es bräuchte einen zweiten Kettbaum oder eine andere Einrichtung, die es ermöglicht, dass die Fäden der beiden Kettsysteme unterschiedlich ablaufen können,  so wie z.B. beim Seersucker auch.

Matthias hatte aus seiner Zeit bei Frau Meckenstock sogenannte Schmierkissen dabei, welche  auf der "dicken Berta" gewebt worden sind. Unten rechts stehen die beiden an den Kettspulen der Baumwollfäden für das Grundgewebe. Oben links geht es wohl um das Abbremsen der Kettspulen mit den Wollfäden für den Flor und die langen Saugfäden, welche zusätzlich noch nach unten aus dem Gewebe gearbeitet werden mussten. Leider ist dies Vergangenheit, denn seit Frau Meckenstock vor einigen Jahren verstorben ist, schlummert die Weberei unter Denkmalschutz den Dornröschenschlaf. Falls in hundert Jahren ein Prinz vorbeikommen sollte, wird wohl nicht mehr viel übrig sein von der Weberei.

Hier geht es zu dem Bericht über einen Besuch der Weberei Meckenstock in 2014: Zeitreise

Nun geht es noch von Sardinien über Südfrankreich und über den Atlantik nach Nordamerika! Gerda hatte ja bei ihren Recherchen in der Handwoven 09/10 2015 einen Artikel von Sara Bixler gefunden: Boutonné - ein akadisches Erbe. Akadien ist ein historisches Gebiet und umfasste Teile von Kanada und Nordamerika: Akadien auf wikipedia

Und ihr ahnt es bestimmt schon, ich habe Kontakt zu ihr aufgenommen und sie hat mir freundlicherweise einige Fotos zur Verfügung gestellt:


Die Fotos stammen von einem Besuch im "National Museum of the American Coverlet". Ein Coverlet ist ein Bettüberwurf oder auch Tagesdecke. Die Weberin dieses Coverlets war Hannah Leathers Wilson. Sie hat insgesamt 184 solcher Coverlets gewebt. 28 Coverlets sind heute bekannt, die übrigen 156 sind verschollen. Der Name auf dem Rand zeigt an für wen sie die Arbeit ausgeführt hat, no.113 heißt es war das 113. Coverlet (sie hat alle ihre Arbeiten durchnummeriert) und zum Schluss das Jahr der Herstellung. Diese Coverlets wurden aus drei separat gewebten Bahnen zusammengefügt. Rechts und links neben dem Schriftzug kann man die Nahtlinien mehr ahnen als sehen. Kaum zu glauben, dass auf der gesamten Gewebelänge so gut wie kein Versatz zu sein scheint. In 2016 wurde Hannah Wilson als "celebrated weaver of the year" posthum geehrt.

Fünf Coverlets von Hannah Wilson befinden sich im "National Museum of the American Coverlet". Dort findet auch jedes Jahr ein sogenanntes "Coverlet College" statt. Im Newsletter von 2016 kann man auf Seite 15 das Coverlet in seiner Ganzheit betrachten: Newsletter 2016 
 
Hier geht es zu allen Newslettern des Museums, und natürlich auch zur Webseite des Museums selber: Newsletter Übersicht
 
Kaum zu glauben, sage und schreibe 21 Links finden sich in diesem Beitrag. Aber nun ist es wirklich genug.
 
Weben verbindet, nicht nur Fäden, sondern auch Menschen!

Samstag, 4. Juni 2022

Von der Doppelbindung zum Schussdouble - 29. Mai 2022

Beim letzten Treff haben wir uns mit schussverstärkten Geweben beschäftigt, nicht zu verwechseln mit Doppelgeweben. Während bei Doppelgeweben gleichzeitig zwei übereinanderliegende Gewebeflächen gewebt werden, entsteht bei schussverstärkten Geweben ein einflächiges Gewebe. Es gibt ein Kettsystem und zwei Schusssysteme, d.h. es wird mit zwei Schützen/Schiffchen gearbeitet.

Eine Art von schussverstärktem Gewebe ist die Doppelbindung. Schon mit nur vier Schäften kann ein effektvolles Gewebe entstehen. In der Kette wird abwechselnd partieweise eingezogen, durch die Verwendung von zwei Schusssystemen entsteht eine rechteckige Musterung auf Gewebeober- und -unterseite; sei es durch farbliche oder strukturelle Unterschiede der Schussgarne. 

Hier eine Möglichkeit mit einem Kettrapport über vier Kettfäden, wobei auf den Partiewechsel zu achten ist. Dieser erfolgt dann nämlich bereits nach dem dritten Kettfaden des Rapports.
Partie 1 = Einzug auf den Schäften: 3-4-3-1 und Partie 2 = Einzug auf den Schäften: 2-1-2-4

Durch den Partiewechsel flottiert jeder Schuss in der einen Partie auf der Gewebeoberseite über drei Kettfäden und in der anderen Partie auf der Gewebeunterseite. Flottiert er über drei auf der Gewebeoberseite arbeitet er als Oberschuss, flottiert er auf der Gewebeunterseite über drei arbeitet er als Unterschuss. Die Anbindungen des Unterschusses sollen durch die Dreier-Flottierungen des Oberschusses möglichst weitgehend abgedeckt werden. In der Fläche schiebt sich in der linken Partie der Oberschuss jeweils über den vorherigen Unterschuss. In der rechten Partie schiebt sich der Unterschuss unter den jeweils vorhergegangenen Oberschuss. In Schussrichtung erfolgt der "Partiewechsel" durch Umkehrung der Farbfolge. Die Dreier-Flottierungen ermöglichen eine optimale Abdeckung der Anbindung des Unterschusses. Die Gewebeunterseite zeigt jeweils das "Negativ" der Gewebeoberseite.,
 
Der Einfachheit halber spreche ich hier von Anbindungen des Unterschusses. Es entspricht dem Gefühl, etwas von unten an ein oberes anzubinden. Webtechnisch geschieht dies durch eine Senkungen. Zusätzliche Senkungen werden in der Webtechnik als Abbindungen bezeichnet.
 
Hier einige mitgebrachte Beispiele, in der Mitte ein Teppichgewebe von Gerda,
rechts und links Tischsets von Agnes, mit Blumen-Inspirationen aus ihrem Garten:
 

 

Bei ihrer Vorbereitung des Themas hat Gerda noch einen zweiten Einzug über vier Schäfte gefunden. Hier entstehen jeweils Zweier-Flottierungen, welche die Anbindung des Unterschusses abdecken. Und auch hier Beispiele für die Umsetzung. In der linken Partie schiebt sich der Unterschuss unter den vorherigen Oberschuss, in der rechten Partie schiebt sich der Oberschuss über den vorherigen Unterschuss:
 

 
In einer Ausgabe des Vävmagazine aus 02.1996 hat Gerda dann auch noch eine Variante mit drei Schusssystemen entdeckt. Die obere Variante benötigt 9 Tritte, die untere Variante kommt mit 6 Tritten aus, wobei jeweils zwei Tritte gleichzeitig getreten werden müssen; die grau hinterlegten Schäfte werden nicht angebunden. D.h. die Tritte 1-3 steuern nur die Schäte 4-6 an und die Tritte 4-6 die Schäfte 1-3 (Tritte von links nach rechts gezählt, Schäfte von unten nach oben):


 
Und vielleicht ahnt es schon die/der ein oder andere, hier gibt es eine eindeutige Gewebeoberseite. Da wir kein Gewebebeispiel dafür hatten hier also nur ein Bild über das Webprogramm.
Mit drei Partien und damit auch drei Farben oder Strukturen lässt sich natürlich schon viel mehr spielen.


Wo hört die Doppelbindung auf und wo fängt das Schussdouble an? Für uns bedeutet Schussdouble, dass beide Gewebeseiten jeweils eine "komplette Bindung" aufweisen. Schon der Schussköper K1/2 bietet sich da an. Bei einem  "normalen" Schussköper (linke Seite, oben) zeigt die Unterseite den entsprechenden Kettköper (linke Seite, unten). Beim Schussdouble zeigen beide Gewebeseiten den Schussköper, jeweils mit umgekehrter Gratrichtung (rechte Seite, oben: pinke Oberschüsse flottieren lang auf der Gewebeoberseite; rechte Seite, unten: grüne Unterschüsse flottieren lang auf der Gewebeunterseite). Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Und hier ein Schussdouble im Schussköper K1/2 mit partieweisem Einzug
(links Gewebeoberseite, rechts Gewebeunterseite):
 

Am Beispiel des Schussköper K1/3 als Ausgangsbindung schauen wir uns die Entwicklung eines Schussdoubles etwas näher an. Ganz links sind nur die Oberschüsse eingetragen, der Platz für die Unterschüsse ist jeweils frei gelassen. Die Gewebeunterseite soll ebenfalls einen Schussköper K1/3 zeigen, wird also durch Unterschüsse verstärkt, die jeweils eine Anbindung im Rapport aufweisen müssen. Die Anbindungen erscheinen auf der Oberseite als Einer-Schussflottierungen. Diese müssen dort gesetzt werden, wo darüber und darunter auch in den Oberschüssen Schussflottierungen vorliegen, damit diese längeren Flottierungen die Einer-Flottierungen gut abdecken können. Erika Arndt weist darauf  hin, dass wenn die Grundbindung einen Grat hat, die Unterschüsse (von der Gewebeoberseite aus betrachtet) daher denselben Grat aufweisen müssen, damit dies möglich ist. Für den Schussköper K1/3 gibt es zwei Möglichkeiten die Anbindungen zu setzen. Oberhalb und unterhalb der roten, bzw. blauen Punkte liegen jeweils auch Schussflottierungen:


Hier die Umsetzung der einen Möglichkeit. Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Und hier die Umsetzung der anderen Möglichkeit. Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Um es noch besser zu veranschaulichen greifen wir zum Webgerät aus Papier!
Im nachfolgenden Video habe ich spontan den folgenden Ausschnitt mit den Papierstreifen "gewebt":



Und hier das angkündigte Video:


Das ist wie immer nur ein kleiner Einblick in das Thema. Gewebeoberseite und Gewebeunterseite können auch unterschiedliche Bindungen aufweisen. Geeignet sind schussseitige bis gleichseitige Bindungen. Man muss halt schauen wie es passt. In den Beispielen in diesem Beitrag wechseln sich Ober- und Unterschüsse immer 1:1 ab, das bedeutet, dass bei jedem Schuss der Schütze gewechselt werden muss. Das ist die aufwändigste aber auch gleichmäßigste Möglichkeit. Denkbar/machbar wäre auch 2:2, also immer 2x Oberschuss, 2x Unterschuss.

Bei der Verwendung von unterschiedlichen Garnstärken kann es auch zu anderen Verstärkungsverhältnissen, wie z.B. 1:2 kommen, 1 dicker Oberschuss wird gefolgt von 2 dünneren Unterschüssen. ...

So ein Papp-Webgerät ist relativ schnell gebaut und  bringt sehr viel für das Verständnis der Bindungen. Ich habe jedenfalls ziemlich viel damit ausprobiert.

Gerne verwendet wird auch der Schusskreuzköper X-K1/3:

Betrachtet man die Partie unten rechts, so sieht man, dass sich der erste und jeder folgende "ungerade" grüne Oberschuss sowohl über den vorhergehenden als auch nachfolgenden Unterschuss schieben kann. Der zweite und jeder folgende "gerade" grüne Oberschuss kann sich nur über den jeweils nachfolgenden Unterschuss schieben. Ich habe es mit meinem Papp-Webgerät ausprobiert und wenn man sich etwas "eingeschaut" hat, dann kann man es auch so sehen.

Hier gibt es wieder mitgebrachte Beispiele. Ein Föttches-Kissen von Sabine
und die Gewebeprobe von Ute für eine Wolldecke, bei der eine Seite im Webstuhl aufgerauht wurde:


Und natürlich gab es auch dieses Mal wieder noch das ein oder andere zum Thema Weben. Beispielhaft hier Schals in Deflected Double, wie richtet man einen Brettchenwebstuhl ein, die Möglichkeit eine Doppelbindung praktisch auszuprobieren ...


Und ganz zum Schluss, versprochen dann ist wirklich Schluss, hier noch ein Nachtrag zu einem Besuch bei der Polten GmbH in 42277 Wuppertal, Rathenaustr. 57a, 0202 510 03. Herr Polten hatte sich extra für uns Zeit genommen und war ausgesprochen geduldig mit uns. Hauptsächlich Baumwollgarne in Nm 34/2 und Nm 20/2 in mercerisiert und nicht mercerisiert wanderten in die Kisten und anschließend mit in die Webstuben. Über Langeweile werden wir uns wohl in nächster Zeit nicht beklagen können. Vor einem Besuch ist auf jeden Fall eine Terminabsprache zu empfehlen. Am besten abgezähltes Geld mitbringen😉. Weber/innen neigen schon mal zum Garnrausch!