Samstag, 4. Juni 2022

Von der Doppelbindung zum Schussdouble - 29. Mai 2022

Beim letzten Treff haben wir uns mit schussverstärkten Geweben beschäftigt, nicht zu verwechseln mit Doppelgeweben. Während bei Doppelgeweben gleichzeitig zwei übereinanderliegende Gewebeflächen gewebt werden, entsteht bei schussverstärkten Geweben ein einflächiges Gewebe. Es gibt ein Kettsystem und zwei Schusssysteme, d.h. es wird mit zwei Schützen/Schiffchen gearbeitet.

Eine Art von schussverstärktem Gewebe ist die Doppelbindung. Schon mit nur vier Schäften kann ein effektvolles Gewebe entstehen. In der Kette wird abwechselnd partieweise eingezogen, durch die Verwendung von zwei Schusssystemen entsteht eine rechteckige Musterung auf Gewebeober- und -unterseite; sei es durch farbliche oder strukturelle Unterschiede der Schussgarne. 

Hier eine Möglichkeit mit einem Kettrapport über vier Kettfäden, wobei auf den Partiewechsel zu achten ist. Dieser erfolgt dann nämlich bereits nach dem dritten Kettfaden des Rapports.
Partie 1 = Einzug auf den Schäften: 3-4-3-1 und Partie 2 = Einzug auf den Schäften: 2-1-2-4

Durch den Partiewechsel flottiert jeder Schuss in der einen Partie auf der Gewebeoberseite über drei Kettfäden und in der anderen Partie auf der Gewebeunterseite. Flottiert er über drei auf der Gewebeoberseite arbeitet er als Oberschuss, flottiert er auf der Gewebeunterseite über drei arbeitet er als Unterschuss. Die Anbindungen des Unterschusses sollen durch die Dreier-Flottierungen des Oberschusses möglichst weitgehend abgedeckt werden. In der Fläche schiebt sich in der linken Partie der Oberschuss jeweils über den vorherigen Unterschuss. In der rechten Partie schiebt sich der Unterschuss unter den jeweils vorhergegangenen Oberschuss. In Schussrichtung erfolgt der "Partiewechsel" durch Umkehrung der Farbfolge. Die Dreier-Flottierungen ermöglichen eine optimale Abdeckung der Anbindung des Unterschusses. Die Gewebeunterseite zeigt jeweils das "Negativ" der Gewebeoberseite.,
 
Der Einfachheit halber spreche ich hier von Anbindungen des Unterschusses. Es entspricht dem Gefühl, etwas von unten an ein oberes anzubinden. Webtechnisch geschieht dies durch eine Senkungen. Zusätzliche Senkungen werden in der Webtechnik als Abbindungen bezeichnet.
 
Hier einige mitgebrachte Beispiele, in der Mitte ein Teppichgewebe von Gerda,
rechts und links Tischsets von Agnes, mit Blumen-Inspirationen aus ihrem Garten:
 

 

Bei ihrer Vorbereitung des Themas hat Gerda noch einen zweiten Einzug über vier Schäfte gefunden. Hier entstehen jeweils Zweier-Flottierungen, welche die Anbindung des Unterschusses abdecken. Und auch hier Beispiele für die Umsetzung. In der linken Partie schiebt sich der Unterschuss unter den vorherigen Oberschuss, in der rechten Partie schiebt sich der Oberschuss über den vorherigen Unterschuss:
 

 
In einer Ausgabe des Vävmagazine aus 02.1996 hat Gerda dann auch noch eine Variante mit drei Schusssystemen entdeckt. Die obere Variante benötigt 9 Tritte, die untere Variante kommt mit 6 Tritten aus, wobei jeweils zwei Tritte gleichzeitig getreten werden müssen; die grau hinterlegten Schäfte werden nicht angebunden. D.h. die Tritte 1-3 steuern nur die Schäte 4-6 an und die Tritte 4-6 die Schäfte 1-3 (Tritte von links nach rechts gezählt, Schäfte von unten nach oben):


 
Und vielleicht ahnt es schon die/der ein oder andere, hier gibt es eine eindeutige Gewebeoberseite. Da wir kein Gewebebeispiel dafür hatten hier also nur ein Bild über das Webprogramm.
Mit drei Partien und damit auch drei Farben oder Strukturen lässt sich natürlich schon viel mehr spielen.


Wo hört die Doppelbindung auf und wo fängt das Schussdouble an? Für uns bedeutet Schussdouble, dass beide Gewebeseiten jeweils eine "komplette Bindung" aufweisen. Schon der Schussköper K1/2 bietet sich da an. Bei einem  "normalen" Schussköper (linke Seite, oben) zeigt die Unterseite den entsprechenden Kettköper (linke Seite, unten). Beim Schussdouble zeigen beide Gewebeseiten den Schussköper, jeweils mit umgekehrter Gratrichtung (rechte Seite, oben: pinke Oberschüsse flottieren lang auf der Gewebeoberseite; rechte Seite, unten: grüne Unterschüsse flottieren lang auf der Gewebeunterseite). Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Und hier ein Schussdouble im Schussköper K1/2 mit partieweisem Einzug
(links Gewebeoberseite, rechts Gewebeunterseite):
 

Am Beispiel des Schussköper K1/3 als Ausgangsbindung schauen wir uns die Entwicklung eines Schussdoubles etwas näher an. Ganz links sind nur die Oberschüsse eingetragen, der Platz für die Unterschüsse ist jeweils frei gelassen. Die Gewebeunterseite soll ebenfalls einen Schussköper K1/3 zeigen, wird also durch Unterschüsse verstärkt, die jeweils eine Anbindung im Rapport aufweisen müssen. Die Anbindungen erscheinen auf der Oberseite als Einer-Schussflottierungen. Diese müssen dort gesetzt werden, wo darüber und darunter auch in den Oberschüssen Schussflottierungen vorliegen, damit diese längeren Flottierungen die Einer-Flottierungen gut abdecken können. Erika Arndt weist darauf  hin, dass wenn die Grundbindung einen Grat hat, die Unterschüsse (von der Gewebeoberseite aus betrachtet) daher denselben Grat aufweisen müssen, damit dies möglich ist. Für den Schussköper K1/3 gibt es zwei Möglichkeiten die Anbindungen zu setzen. Oberhalb und unterhalb der roten, bzw. blauen Punkte liegen jeweils auch Schussflottierungen:


Hier die Umsetzung der einen Möglichkeit. Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Und hier die Umsetzung der anderen Möglichkeit. Jeder Oberschuss kann sich sowohl über den vorhergehenden, als auch den nachfolgenden Unterschuss schieben:


Um es noch besser zu veranschaulichen greifen wir zum Webgerät aus Papier!
Im nachfolgenden Video habe ich spontan den folgenden Ausschnitt mit den Papierstreifen "gewebt":



Und hier das angkündigte Video:


Das ist wie immer nur ein kleiner Einblick in das Thema. Gewebeoberseite und Gewebeunterseite können auch unterschiedliche Bindungen aufweisen. Geeignet sind schussseitige bis gleichseitige Bindungen. Man muss halt schauen wie es passt. In den Beispielen in diesem Beitrag wechseln sich Ober- und Unterschüsse immer 1:1 ab, das bedeutet, dass bei jedem Schuss der Schütze gewechselt werden muss. Das ist die aufwändigste aber auch gleichmäßigste Möglichkeit. Denkbar/machbar wäre auch 2:2, also immer 2x Oberschuss, 2x Unterschuss.

Bei der Verwendung von unterschiedlichen Garnstärken kann es auch zu anderen Verstärkungsverhältnissen, wie z.B. 1:2 kommen, 1 dicker Oberschuss wird gefolgt von 2 dünneren Unterschüssen. ...

So ein Papp-Webgerät ist relativ schnell gebaut und  bringt sehr viel für das Verständnis der Bindungen. Ich habe jedenfalls ziemlich viel damit ausprobiert.

Gerne verwendet wird auch der Schusskreuzköper X-K1/3:

Betrachtet man die Partie unten rechts, so sieht man, dass sich der erste und jeder folgende "ungerade" grüne Oberschuss sowohl über den vorhergehenden als auch nachfolgenden Unterschuss schieben kann. Der zweite und jeder folgende "gerade" grüne Oberschuss kann sich nur über den jeweils nachfolgenden Unterschuss schieben. Ich habe es mit meinem Papp-Webgerät ausprobiert und wenn man sich etwas "eingeschaut" hat, dann kann man es auch so sehen.

Hier gibt es wieder mitgebrachte Beispiele. Ein Föttches-Kissen von Sabine
und die Gewebeprobe von Ute für eine Wolldecke, bei der eine Seite im Webstuhl aufgerauht wurde:


Und natürlich gab es auch dieses Mal wieder noch das ein oder andere zum Thema Weben. Beispielhaft hier Schals in Deflected Double, wie richtet man einen Brettchenwebstuhl ein, die Möglichkeit eine Doppelbindung praktisch auszuprobieren ...


Und ganz zum Schluss, versprochen dann ist wirklich Schluss, hier noch ein Nachtrag zu einem Besuch bei der Polten GmbH in 42277 Wuppertal, Rathenaustr. 57a, 0202 510 03. Herr Polten hatte sich extra für uns Zeit genommen und war ausgesprochen geduldig mit uns. Hauptsächlich Baumwollgarne in Nm 34/2 und Nm 20/2 in mercerisiert und nicht mercerisiert wanderten in die Kisten und anschließend mit in die Webstuben. Über Langeweile werden wir uns wohl in nächster Zeit nicht beklagen können. Vor einem Besuch ist auf jeden Fall eine Terminabsprache zu empfehlen. Am besten abgezähltes Geld mitbringen😉. Weber/innen neigen schon mal zum Garnrausch!


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